Ist Klimaschutz wirklich so schwer?

Da ist er wieder, dieser Moment, in dem ich mich frage, ob es denn wirklich so schwer ist, ein bisschen was zum Klimaschutz, oder besser: weniger zu dessen Zerstörung beizutragen. Ich sitze im Auto – liebevoll Schmutzdiesel genannt – wartend vor einer roten Ampel an einer Hauptverkehrsstraße in meiner Heimatstadt Hannover auf dem Weg von einem Energieberatungstermin zurück ins Büro. Die Sonne scheint vom strahlend blauen, wolkenlosen Himmel und im Radio geht es mal wieder um Klimaschutz und was unsere Politiker alles tun oder lassen, während die Erreichung der vereinbarten Pariser Klimaziele in immer weitere Ferne rückt. Derweil fällt mein Blick auf ein Fitnessstudio, in dem auch heute bei schönstem Sonnenschein hinter großen Glasflächen, für jeden, der es sehen will und alle anderen auch, sichtbar, Menschen auf Laufbändern joggen oder auf Ergometern “Fahrrad fahren”, den Blick starr nach vorne auf einen Bildschirm gerichtet. Und dass, obwohl es in der Umgebung lange Laufwege entlang des Mittellandkanals gibt und mit der Eilenriede ein wunderbarer Stadtwald lockt.

Zugegeben: Diese Situation für sich alleine betrachtet ist für mich persönlich schwer nachvollziehbar. Wenn ich laufe, dann will ich frische Luft um die Nase haben, wahlweise die Sonne, den Wind oder den Regen auf meiner Haut fühlen und mit jeder Faser spüren, dass ich am leben bin. Zudem erscheint es mir wenig erstrebenswert, Geld dafür auszugeben, dieses Lebensgefühl aufzugeben und dafür auf dem Präsentierteller maschinell begleitetes Hampeln auf einem Crosstrainer vollziehen zu dürfen.
Aber: Nobody’s perfekt. Ich selbst erwische mich in anderen Bereichen des Alltags auch oft genug dabei, unnötigerweise Ressourcen einzusetzen und wenn ein Außenstehender meinen Alltag auf Optimierungspotential untersuchen würde, würde er sicherlich auch einiges finden, worüber er genauso den Kopf schütteln kann, wie ich in diesem Moment über besagte Menschen im Fitnessstudio.

Unser CO2-Fußabdruck ist so viel größer als der unserer Vorfahren

Aber warum ist das so? Warum tun wir Menschen heute so viele unsinnige Dinge, die unseren CO2-Fußabdruck eigentlich völlig unnötig vergrößern? Warum fahren wir mit dem Auto ins Fitnessstudio, um dort Fahrrad zu fahren? Warum greifen wir beim Eismann zum kunststoffbeschichteten Pappbecher statt zur Waffel, die man mitessen könnte? Warum geht ein Besuch in Deutschlands beliebtesten Fast Food Restaurants nicht ohne Plastiktrinkhalm und Plastikdeckel am Becher? Und warum vergeht eigentlich kaum ein Abend, ohne dass der Fernseher läuft, den man nur halbherzig beachtet, weil man nebenbei noch mit dem Smartphone beschäftigt ist?

Wir haben täglich die Wahl, ob und wie wir unserem Konsum nachgehen

Einige Dinge werden getan, weil sie bequem sind. Andere sind schlicht Gewohnheit. Eltern kleiner Kinder greifen gerne zum Eisbecher, weil dieser weniger Sauerei auf der Kleidung verspricht. Das ist verständlich. Aber manch ein so aufgezogenes Kind bleibt in wohligen Kindheitserinnerungen schwelgend dabei, wenn es groß wird. Und Fast Food ohne all den Verpackungsmüll? Einfach essen, ohne sich durch erst durch Papier und Plastik arbeiten zu müssen? Nicht vorstellbar!

Als Energieberaterin fällt mir an dem Fitnessstudio noch einiges mehr auf: Es ist äußerst verkehrsgünstig gelegen. Die Straße ist beidseitig mit getrennten Geh- und Radwegen ausgestattet – dies gilt auch für die beiden anderen Straßen, an deren Kreuzung das Studio steht. Auch über den öffentlichen Nahverkehr ist es gut zu erreichen. Im Minutentakt halten keine Hundert Meter vom Studioeingang entfernt die Stadtbahnen zweier verschiedener Bahnlinien. Trotzdem ist der Pkw-Parkplatz gut gefüllt.
Das Fitnessstudio ist ein erst vor wenigen Jahren erbautes, modernes Gebäude mit zeitgemäßer Wärmedämmung und einem hohen Fensterflächenanteil. Die beschriebenen großen Fensterflächen sind nach Süden und Westen zur Straße hin orientiert. Diese bedeuten nicht nur eine intensive visuelle Beziehung zwischen dem Gebäudeinneren und dem Straßenraum sowie solare Gewinne im Winter, sondern auch, dass die Räume leichter überhitzen oder ein Kühlbedarf besteht. Zwar wurden an diesem modernen Gebäude sicherlich Maßnahmen ergriffen, um die Energieeffizienz hoch zu halten. So sind von außen zum Beispiel Verschattungselemente sichtbar, um die ungewünschten solaren Einträge im Sommer und damit die Überhitzungsgefahr bzw. den Kühlbedarf zu beschränken. Einen hohen Energiebedarf hat ein solches Studio dennoch aufgrund:

  • hohe Wärmeeinträge => ggf. Kühlbedarf
    • solare Einträge
    • Abwärme Sporttreibender
    • Abwärme zahlreicher (elektrischer) Sportgeräte
  • hoher Warmwasserverbrauch durch Duschen und ggf. Wellnessbereich
  • Stromverbrauch für Sportgeräte

Das beschriebene Studio soll kein Negativbeispiel sein. Es ist eines wie viele in Hannover und davon sicher eines der besseren. Es ist eines der erfolgreichen, beliebten, modernen Studios, das die zweifelsfrei vorhandene Nachfrage effizient bedient. Worauf ich hinaus will ist, dass es auch anders ginge, wenn der Verbraucher denn wollte.

Als wahrscheinlich krassestes Gegenbeispiel fällt mir da ein anderes Konzept ein: Das Powersports Gym. Das Powersports Gym ist kein Fitnessstudio im eigentlichen Sinne sondern ein Ort, an dem Sportbegeisterte unter fachkundiger Anleitung Kraftsport lernen und dann auch zunehmend selbstständig ausführen. Wer das erste Mal hier ist, dem fällt gleich einiges auf, das hier anders ist, als in einem Fitnessstudio.

Kein typisches Fitnessstudio: Das Powersports Gym

Es gibt verschwindend wenig elektrische Geräte.

Training ohne viel Schnick Schnack schont das Klima

Überhaupt gibt es nur ein einziges Sportgerät mit Digitalanzeige, nämlich ein hochwertiges Profi-Ruder-Ergometer. Und vielleicht noch die eine oder andere Stoppuhr, wenn man diese als Sportgeräte bezeichnen möchte. Die größten Stromverbraucher im Gym sind die Beleuchtung, die Umwälzpumpe der Gas-Heizung, der Durchlauferhitzer und die Kaffeemaschine.

Keine Spiegel

Richtig gelesen: Im gesamten Sportbereich gibt es keinen einzigen Spiegel. Damit fällt nicht nur die energieintensive Herstellung großer Glasflächen und deren Metallbedampfung weg. Nebenbei bleibt einem auch der Anblick selbstverliebt posender Bizeps-Curler erspart. Um Bewegungsgefühl zu erlernen braucht es das nicht. Vielmehr verhindert der ständige Blick in den Spiegel oftmals sogar die Entwicklung eines guten Bewegungsgefühls. Genau das ist aber das Ziel der Ausbildung im Powersports Gym: Das Erarbeiten nachhaltig guter Bewegungen und einer verbesserten Körperwahrnehmung “zum mitnehmen” und nicht nur zum Bewundern im Studiospiegel.

Nachhaltige Sportgeräte

Ohne elektrische Sportgeräte geht es nicht? Von wegen! Während man in den meisten Fitnessstudios in der Regel nur eine kleine Freihantelnische findet, ist das Powersports Gym im wesentlichen Teil ein großer Freihantelbereich. Hanteln gibt es in verschiedenen Ausführungen, lang und kurz. Zahlreich und von bester Qualität. “Die kauft man nur einmal, denn sie halten ein Leben lang“, wie Trainer Mark Sandmann betont. Die zugehörigen Gewichte lassen die Herzen von Kraftsportfans höher schlagen. Außerdem gibt es eine ganze Reihe weiterer “analoger Trainingsgeräte” wie Reck, Klimmzugstange, Kletterwand, Hantelbänke uvm. wie auch diverse Spielsachen aus dem Strongman-Bereich.

Altes Gebäude, geringer Wärmeschutz

Das Powersports Gym liegt in einem alten Bestandsgebäude. Insofern kann es in Sachen Wärmeschutz mit einem modernen Fitnessstudio nicht mithalten. Trotzdem ist der Heizwärmebedarf überschaubar. Im Winter durchflutet die Sonne das Gym mit hellen Strahlen. Tendenziell ist das Gym in der dunklen Jahreszeit stärker besucht. Mehr sportlich aktive Menschen im Gym bedeuten mehr Abwärme. Und nicht zuletzt mögen es körperlich aktive Menschen nicht sehr warm, so dass der Raum nicht mollig warm sein muss. Insofern wird gar nicht so viel geheizt, wie man vielleicht vermuten würde.

Im Sommer bleibt das Gym durch seine Lage im Soutterrain ganz ohne Klimaanlage angenehm kühl. Die um das Gebäude gepflanzten Büsche sind dann dicht belaubt und verschatten die Fenster fast vollständig. So bleiben Wärme und neugierige Blicke weitestgehend draußen. Das Gym erwärmt sich gerade so weit, dass Probleme mit einer sommerlich zu hohen Luftfeuchtigkeit sich in der Regel noch durch überlegtes Lüften vermeiden lassen und nur in Ausnahmesituationen technisch gegengesteuert werden muss. Praktischerweise wird in kühler Umgebung weniger geschwitzt.

Kein Wellness, nur hartes Training

Manch einer mag es aus Gewohnheit seltsam finden, aber es gibt keine Wellnessoase, keine Sauna, keinen Whirlpool und keine Luxusduschen. Entsprechend ist der Warmwasserbedarf des Gyms verschwindend gering. Stattdessen gibt es eine Chill Out Ecke, für ein gemütliches Beisammensein vor und/oder nach dem Training.

Klimaschonendes Krafttraining mit der Langhantel

Starke Gemeinschaft

Im Powersports Gym trainiert niemand anonym vor sich hin, am besten noch stur auf einen Bildschirm starrend. Die Sportler hier sind eine starke Gemeinschaft, ein buntes Konglomerat aus Jung und Alt, Einsteiger und Spitzensportler. Vom reinen Hobbyathleten über Reha-Patienten bis zum Olympiasieger ist alles anzutreffen. Hier kennt jeder fast jeden und man hilft sich gegenseitig. Da gibt es keinen Run auf einzelne Geräte. Es sind genug Hanteln und Gewichte für alle da und wenn es passt, trainiert man gemeinsam und spart sich manches Umstecken.


Energieeffizienz mit Optimierungspotential

Auch wenn, wie oben vielleicht herauszulesen war, im Powersports Gym aktuell noch einiges Potential zur Energieeffizienzsteigerung ungenutzt ist, ist es meiner Meinung nach ein besonders schönes Beispiel dafür, dass Energie sparen, Klimaschutz und Umweltschutz keinesfalls nur mit Neu/modern/teuer/sparsam oder Verzicht/Einschränkung/Beschwerlichkeit zu assoziieren ist.

Alt ist hier nur das Gebäude.
Altbewährt sind die Trainingsmittel.
Hochmodern sind die Trainingsverfahren.

Ähnlich angelegte Angebote, Trainingsgruppen oder Vereine gibt es für Ihre Lieblingssportart sicher auch in Ihrem Ort. Schauen Sie sich doch mal danach um. Vielleicht sind diese eine gute oder vielleicht sogar eine bessere Alternative zum schicken Fitnessstudio. Wenn Sie ein solches schon gefunden haben oder Ihr Fitnessstudio in Sachen Klimaschutz eine Vorreiterrolle einnimmt, dann freue ich mich über einen Hinweis hierauf in den Kommentaren.

Über Natascha Sandmann 13 Artikel
Die Ingenieurin aus Isernhagen (Region Hannover) ist freiberuflich als Energieberaterin und Sachverständige für Schimmelpilzbelastungen tätig.

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